Es ist wohl ein seltener
Glücksfall, wenn Stars der Klassikszene die Bürde ihres
Ruhmes über ein ganzes Künstlerleben hinweg gänzlich
unbeschadet zu tragen vermögen, wenn sie von den enormen
Belastungen einer internationalen Karriere nicht irgendwann
niedergedrückt werden und erschöpft eine längere
Pause einlegen müssen, endlich einmal unbehelligt sein wollen
vom grellen Rampenlicht großer Bühnen.
Besonders
Wunderkinder scheinen in Gefahr, ihrer Auserwähltheit eines
Tages nicht mehr gewachsen zu sein und gleichsam an ihr zu
erkranken, spätestens dann, wenn Belastungen im Privatleben
hinzukommen. Claudio Arrau durchlebte schon als Teenager eine
heftige Krise, Vladimir Horowitz war für seine jahrelangen
Rückzüge ebenso bekannt wie für seine legendären
Comebacks. Auch Maurizio Pollini und Krystian Zimerman legten
Ruhepausen ein. Ivo Pogorelich hat gerade für ein ganzes Jahr
weltweit sämtliche Termine abgesagt; im Internet steht zu
lesen, er habe den Tod seiner Frau und seines Vaters zu
verkraften, leide an einer Depression. Andere wiederum halten
tapfer und eisern durch, wie Evgeny Kissin, der allerdings stets
von einer beklemmenden Melancholie umgeben zu sein scheint, wenn
er Abend für Abend einsam vor Tausenden seine Seele
offenbart.
Die Karriere des heute 33 Jahre alten Pianisten
Andreas Bach begann mit einem Paukenschlag, als er mit Sechzehn
ein fulminantes Debüt im Münchner Herkulessaal feierte,
das der Musikkritiker Joachim Kaiser mit einer hymnischen
Rezension in der Süddeutschen Zeitung prämierte. Ein
Bilderbuchstart, wie man ihn sich kaum vielversprechender
erträumen kann. Diesen Eindruck mußte zumindest
gewinnen, wer nicht wußte, daß unmittelbar vor diesem
Sensationskonzert die Mutter des blutjungen Pianisten verstorben
war. Es folgten große Tourneen nach Übersee und Fernost
mit zum Teil ebenso sensationellen Erfolgen. Über diese
Höchstbeanspruchungen hinaus geriet der sensible Künstler
dann in Amerika auch noch an einen Agenten, der ihn rücksichtslos
zu vermarkten trachtete. Kein Wunder, daß irgendwann auch
bei Andreas Bach ein Rückzug erfolgen mußt - zwei Jahre
des Atemschöpfens und der Sammlung von neuen Kräften.
Inzwischen ist er wieder präsent im Konzertleben, seine
Karriere indes verläuft nicht mehr ganz so glanzvoll wie zu
Teenagerzeiten.
In ihrer spröden Nachdenklichkeit
mögen seine zuletzt bei Arte Nova veröffentlichten
Deutungen früher und später Werke Schumanns zunächst
irritieren. Unter seinen Händen weicht der strahlende Schwung
der fis-Moll-Sonate einem zweiflerisch lyrischen Grundton, der
unvermutet die düsteren Seiten der Schumannschen Seelenwelt
enthüllt. Die spätstilartig karg gesetzten Waldszenen
taucht Andreas Bach in verhalten melancholisches Zwielicht. Er ist
den Verwerfungen im Notentext auf der Spur, entdeckt allenthalben
kleine Katastrophen und Zusammenbrüche, die er mit bisweilen
gewagten Ver; langsamungen und Stockungen heraushebt. Selbst das
Scherzo der Sonate eröffnet er mit einem kurios gedehnten
Auftaktviertel. Vielleicht wäre es allzu klischeehaft, die
auffallende Sensibilität des Pianisten für
Gebrochenheiten mit seinen eigenen, nicht ganz einfachen
Lebenserfahrungen in Verbindung zu bringen, doch die Assoziation
drängt sich unwillkürlich auf.
Man könnte
Andreas Bachs höchst eigenwillige interpretatorische
Versuchsanordnungen kurzsichtig abtun als verstockte Grübeleien,
als allzu gesuchte Problematisierungen von eigentlich gar nicht so
problematischen Sonaten-Verläufen. Indes will mir scheinen,
daß hier überraschend viele der verborgen liegenden
Schumannschen Wesenszüge auf bewegende Weise präzise
getroffen sind. Nicht jeder mag vielleicht Bachs provozierend
kühne Deutungen sogleich als Meilensteine der
Interpretationsgeschichte feiern wollen, jedoch der Aufmerksamkeit
eines sensiblen Publikums sind sie allemal würdig. Im
Konzert erlebt man den Pianisten ganz anders: Seinem Gespür
für feine Risse im Notenpapier steht hier bisweilen plötzlich
überwältigend temperamentvolle Risikofreude zur Seite.
Tollkühn treibt er da die lyrischen ebenso wie die ekstatisch
virtuosen Nummern der Symphonischen Etüden weit über die
Grenzen sittsamer pianistischer Ausdrucksnormalität. Die
Chopinschen Balladen setzt er faszinierend unter Spannung mit
gewagten klanglichen Kontrasten. Auch hier ist der Pianist Brüchen
auf der Spur, schärft jedoch, anders als in seiner insgesamt
empfindsam gedämpft wirkenden Schumann-Aufnahme, die innerer
Dramen nachgerade aggressiv zu. Unbedingter Ausdruckswille scheint
da gar bisweilen die noble Eleganz der feinen Texturen Chopins zu
versehren.
Ein interessanter, facettenreicher Künstler
also, der sich im folgenden Gespräch mit »KLASSIK
HEUTE« zu seinem Werdegang äußert und
insbesondere seine Einblicke in Werke Schumanns genauer
erläutert. "KLASSIK
HEUTE": Können Sie sich an Ihre frühesten
musikalischen Anfänge erinnern? Andreas
Bach: Ja, sie waren durchaus nicht pianistischer Natur: An meinem
fünften Geburtstag bekam ich eine sogenannte Klarina
geschenkt ein Spielzeugblasinstrument mit bunten Tasten, auf dem
ich mit kleinen Kinderliedern bald schon erste ,musikalische
Erfolge' feierte. Kurz darauf bekam ich dann auch ein richtiges
Klavier und Unterricht.
Unterrichtet
wurden Sie ab Ihrem elften Lebensjahr vom berühmtesten
deutschen Klavierprofessor Karl-Heinz Kämmerling. Wie wurden
Sie auf ihn oder er auf Sie so früh aufmerksam? Das
hatte mit ,Jugend musiziert' zu tun. Mit sieben Jahren habe ich
angefangen da teilzunehmen und zwei Jahre später gewann ich
zum ersten Mal auf Landesebene. Als ich schließlich auch auf
Bundesebene Erfolge hatte, wurde Kämmerling auf mich
aufmerksam und kam auf mich zu. Er
wurde Ihr Hauptlehrer, bei dem Sie insgesamt dreizehn Jahre
studierten. Man sagt, daß er die technische Seite des
Klavierspiels besser vermittelt als die musikalische. Stimmt
das? Nein, im Gegenteil. Er legte gerade auf
Musikalität besonders viel Wert und hatte großes
Einfühlungsvermögen in die Musik sowie die Gabe, seine
eigene Begeisterungsfähigkeit auf andere zu übertragen.
In dieser Hinsicht habe ich am meisten von ihm gelernt. Technisch
hat er zwar viele Übungen mit mir gemacht, aber niemals
praktisch etwas demonstriert, da er ja seit Jahrzehnten nicht mehr
spielt. Das prägt natürlich schon den Charakter des
Unterrichts. Erst bei meinem zweiten Lehrer Pavel Gililov merkte
ich dann, wie viel es mir bedeutete, wenn jemand das Klavierspiel
direkt vorlebt. Von ihm habe ich gelernt, wie man durch
natürliche, entspannte Bewegungen eins wird mit dem
Instrument und wie man einen schönen, runden Ton
erzeugt.
Können
Sie sich an Ihre frühesten musikalischen Anfänge
erinnern? Ja, sie waren durchaus nicht pianistischer
Natur: An meinem fünften Geburtstag bekam ich eine sogenannte
Klarina geschenkt - ein Spielzeugblasinstrument mit bunten Tasten,
auf dem ich mit kleinen Kinderliedern bald schon erste
,musikalische Erfolge' feierte. Kurz darauf bekam ich dann auch
ein richtiges Klavier und Unterricht.
Sie
machten früh eine Blitzkarriere, ohne je einen
internationalen Wettbewerb gewonnen zu haben. Wie ist Ihnen das
gelungen? Unmittelbar nachdem ich mit sechzehn
Jahren mein Debüt im Münchner Herkulessaal gegeben
hatte, bekam ich einen Vertrag bei einer der großen
deutschen Agenturen. Nach meinem Abitur nahm mich dann auch ein
amerikanischer Agent unter Vertrag, der sehr viel Glauben in mich
hatte und auch sehr viel für mich bewegte. In Amerika ging
alles viel schneller vorwärts als in Europa. Ich hatte dort
einen richtigen Raketenstart. Gab
es dafür auch noch andere Gründe als die Aktivität
Ihres Agenten? Ja. Die Mentalität der
Amerikaner ist einfach anders. Wenn die merken, daß jemand
gut ist, dann muß derjenige sich nicht ewig beweisen,
sondern Tür und Tor stehen sofort offen.
Fühlten
Sie sich als Teenager von Ihrem plötzlichen Weltruhm und den
damit verbundenen Pflichten nicht überfordert? Das
war schon schwierig, denn ich hatte keine Kontrolle über den
Verlauf meiner Karriere. Nach einigen Jahren kam ein Punkt, wo mir
alles zuviel wurde. Ich hatte das Gefühl, ausgenutzt zu
werden von meinem amerikanischen Manager. Er schrieb mir zum
Schluß vor, wie ich aufzutreten hatte, was ich sagen und wie
ich mich bewegen sollte. Es schien weniger um mein Klavierspiel
als um mein Image zu gehen, Sponsoren waren wichtiger als die
Musik, und das belastete mich schon sehr. Ich beschloß
deshalb - aber auch aus persönlichen und familiären
Gründen - Abstand zu gewinnen und zog mich für zwei
Jahre ganz vom Konzertleben zurück.
Viele
andere Pianisten taten das auch, die berühmtesten Beispiele
sind Vladimir Horowitz und Maurizio Pollini. War es danach
schwierig, wieder in den Betrieb zurückzufinden? Es
war schwieriger als ich erwartet hatte. Aber es hat auch sein
Gutes, wenn der Terminkalender nicht gleich so voll ist, weil man
mehr Zeit hat, wieder zu sich selbst und zur Musik zu kommen. Ich
bin froh, daß ich heute nicht mehr viermal im Jahr nach
Amerika jetten muß. Gegen mehr Konzerte hier in Europa hätte
ich hingegen nichts.
Wie
bewältigen Sie heute die immensen Anforderungen des
Konzertlebens? Inzwischen weiß ich
wesentlich genauer, wo meine Grenzen sind und sage das im
Zweifelsfalle auch deutlich. Heute wäre ich nicht mehr
bereit, meine Persönlichkeit von vermeintlich imagefördernden
Maßnahmen verbiegen zu lassen. Nach Amerika bin ich seitdem
auch nicht mehr gegangen. Musiker werden dort weit rücksichtsloser
vermarktet als hierzulande. Hat
sich während Ihrer Rückzugsphase auch auch Ihr
Verhältnis zur Musik verändert? Ja.
Früher stand ich noch ganz im Bann der akademischen, in
vieler Hinsicht sehr traditionellen Schule Kämmerlings. Heute
spiele ich deutlich freier und spontaner. Ich habe das Gefühl,
meine Ideen deutlicher ausdrücken, sie besser aus mir
herausholen zu können. In meiner Anfangszeit hatte ich auch
Gedächtnisprobleme, die mir besonders vor großen
Konzerten oft sehr Angst machten. Ich war mir oft nicht ganz
sicher, ob ich nicht irgendwo den Faden verlieren und aussteigen
würde. Mein Zugang war weitgehend intuitiv. Ich wußte,
daß es irgendwie geht, und das reichte. Inzwischen setze ich
meine pianistischen Mittel weit bewußter ein und spiele
deshalb auch ohne Rücken- und Handprobleme, was nicht immer
der Fall war. Ihre
bisherige Diskographie hat ihren Schwerpunkt im Repertoire der
deutschen Romantik. Hat das mit der Aufnahmepolitik Ihres Labels
zu tun oder entspricht diese Richtung tatsächlich Ihren
persönlichen Vorlieben? Bisher war das
tatsächlich mein Schwerpunkt. Seit einiger Zeit befasse ich
mich allerdings immer mehr auch mit modernen Kompositionen, im
Moment vor allem mit Bartók den ich in zukünftigen
Konzertprogrammen mit Schumann koppeln werde. Beide haben sich auf
der Suche nach ihren musikalischen Wurzeln stark an Volksliedern
orientiert und waren darin von hohem Idealismus erfüllt. Das
moderne Repertoire beginne ich erst jetzt richtig zu erobern, denn
während meiner Studienzeit wurde die Leidenschaft dafür
nicht sehr geweckt. Obwohl mir Kämmerling jetzt
wahrscheinlich widersprechen würde: Ich hatte immer das
starke Gefühl, daß sein ganz persönliches,
wirkliches Interesse ungefähr bei Brahms endete.
Würden
Sie von Bartók in Zukunft auch gerne Aufnahmen machen? Auf
jeden Fall, vielleicht sogar einmal das Gesamtwerk. Und ich würde
gerne endlich einmal die ,Fantasiestücke' op. 12 und die
,Symphonischen Etüden' op. 13 von Schumann aufnehmen . ein
lang gehegtes Projekt von mir. Die Zusage von Arte Nova dafür
habe ich jetzt auch schon. Was
reizt Sie an Schumann? Mich interessieren seine
exzessiven, bis ins Verrückte gehenden Seiten, die ich bisher
nur in den Aufnahmen von Alfred Cortot wiederentdecken konnte. Mir
ist der Rebell in Schumann wichtig, der sich in der Vorstellung
eines "Davidsbundes", im Marsch gegen die Philister -
womit das Bürgertum seiner Zeit gemeint ist - offenbart. Daß
er selbst durch und durch Spießbürger war, gehört
zu den Widersprüchen in seiner Persönlichkeit, die ein
Bild von ihm erst vollständig werden lassen. Ich habe kaum je
Interpretationen erlebt, in denen dieses Schumannsche Kernthema
erlebbar wurde . oder gar das extreme Ausbrechen von äußerster
Fassungslosigkeit bis hin zu tiefstem Verdämmern ins Nichts!
Mich faszinieren die Dimensionen des Unwägbaren in dieser
Musik. In den meisten Aufnahmen, die ich kenne, klingt mir das
Unberechenbare viel zu berechnet. Ihre
neueste CD mit frühen und späten Werken Schumanns
überrascht mit einer entsprechend ungewöhnlichen Deutung
der fis-Moll-Sonate. Was reizte Sie gerade an diesem Werk? Es
ist natürlich ein sehr tiefgehendes Werk mit vielen
anrührenden Stellen. Obwohl es die Sonatenform erfüllt,
empfinde ich es als ein brüchiges Stück, das sehr
zerfällt. Die Teile wollen sich nicht recht zum Ganzen fügen,
vor allem der letzte Satz besteht aus disparaten Elementen, die
sich immer wiederholen. Die freieren zyklischen Formen entsprechen
seiner Persönlichkeit mehr und sind typischer für ihn.
Ich finde, das muß man nicht unterdrücken und so tun,
als handele es sich um eine Sonate von Beethoven. Und genau das
habe ich versucht zuzulassen. Natürlich ist das ein Risiko,
denn die meisten Interpreten glätten ja diese Brüche in
der Form und es haben sich ganz andere Hörgewohnheiten
etabliert. Mich haben gerade diese Brüche interessiert,
anders hätte es mir keinen Spaß gemacht. In gewisser
Hinsicht ist es mir ein Rätsel, weshalb ausgerechnet in einer
liberalen Zeit wie heute immer noch oft genug so wenig anerkannt
wird, wenn ein Pianist sich Freiheiten nimmt, die doch
beispielsweise auch ein Alfred Cortot sich nahm, wofür er ja
auch heute noch zurecht bewundert wird. Andererseits aber
verstehen doch auch wieder sehr viele Leute meine
Schumann-Deutungen und wissen deren Besonderheiten zu
schätzen.
Hat
eine solche Schrumpfung der Deutungsspielräume unter
Umständen mit der modernen Tonträgerindustrie zu
tun? Ich glaube schon, daß das eine Rolle
spielt. Denn besonders im Aufnahmestudio sind den kreativen
Freiheiten des Musikers Grenzen gesetzt. Um die Aneinanderreihung
von Schnitten in einer Aufnahme zu ermöglichen, müssen
sich die Takes nämlich möglichst ähneln. Und das
ist ein Problem, das ich in Aufnahmesitzungen tatsächlich
öfter hatte. Wenn ich verschiedene Varianten anbot, kam der
Vorwurf: Sie spielen ja plötzlich ganz anders, das können
wir ja unmöglich schneiden, was machen Sie da? Es wird
offenbar nicht als Zeichen von Kreativität gedeutet, wenn ein
Künstler verschiedene Interpretationsansätze zur
gleichen Zeit parat hat.
Im
Konzert sind Sie ja ebenso flexibel und gehen Risiken zugunsten
spontanen musikalischen Ausdrucks ein. Absolut.
Ich versuche mich auch im Konzert überraschen zu lassen von
Eingebungen, inspirieren zu lassen vom momentanen Klangerlebnis.
Ich fände es ideal, wenn Live-Aufnahmen von gut gelungenen
Konzerten als Grundlage für CDs verwendet würden. Es ist
ja das Wesen der Musik, daß sie sich im Jetzt ereignet. Die
zentrale Idee ist es, eine Improvisation nach Noten zu machen,
eine eigene Gestalt auf der Grundlage der Komposition zu schaffen!