Erschienen in "Klassik heute", Oktober 2001:

DER PIANIST ANDREAS BACH
Improvisation nach Noten

Es ist wohl ein seltener Glücksfall, wenn Stars der Klassikszene die Bürde ihres Ruhmes über ein ganzes Künstlerleben hinweg gänzlich unbeschadet zu tragen vermögen, wenn sie von den enormen Belastungen einer internationalen Karriere nicht irgendwann niedergedrückt werden und erschöpft eine längere Pause einlegen müssen, endlich einmal unbehelligt sein wollen vom grellen Rampenlicht großer Bühnen.

Besonders Wunderkinder scheinen in Gefahr, ihrer Auserwähltheit eines Tages nicht mehr gewachsen zu sein und gleichsam an ihr zu erkranken, spätestens dann, wenn Belastungen im Privatleben hinzukommen. Claudio Arrau durchlebte schon als Teenager eine heftige Krise, Vladimir Horowitz war für seine jahrelangen Rückzüge ebenso bekannt wie für seine legendären Comebacks. Auch Maurizio Pollini und Krystian Zimerman legten Ruhepausen ein. Ivo Pogorelich hat gerade für ein ganzes Jahr weltweit sämtliche Termine abgesagt; im Internet steht zu lesen, er habe den Tod seiner Frau und seines Vaters zu verkraften, leide an einer Depression. Andere wiederum halten tapfer und eisern durch, wie Evgeny Kissin, der allerdings stets von einer beklemmenden Melancholie umgeben zu sein scheint, wenn er Abend für Abend einsam vor Tausenden seine Seele offenbart.

Die Karriere des heute 33 Jahre alten Pianisten Andreas Bach begann mit einem Paukenschlag, als er mit Sechzehn ein fulminantes Debüt im Münchner Herkulessaal feierte, das der Musikkritiker Joachim Kaiser mit einer hymnischen Rezension in der Süddeutschen Zeitung prämierte. Ein Bilderbuchstart, wie man ihn sich kaum vielversprechender erträumen kann. Diesen Eindruck mußte zumindest gewinnen, wer nicht wußte, daß unmittelbar vor diesem Sensationskonzert die Mutter des blutjungen Pianisten verstorben war. Es folgten große Tourneen nach Übersee und Fernost mit zum Teil ebenso sensationellen Erfolgen. Über diese Höchstbeanspruchungen hinaus geriet der sensible Künstler dann in Amerika auch noch an einen Agenten, der ihn rücksichtslos zu vermarkten trachtete.
Kein Wunder, daß irgendwann auch bei Andreas Bach ein Rückzug erfolgen mußt - zwei Jahre des Atemschöpfens und der Sammlung von neuen Kräften. Inzwischen ist er wieder präsent im Konzertleben, seine Karriere indes verläuft nicht mehr ganz so glanzvoll wie zu Teenagerzeiten.

In ihrer spröden Nachdenklichkeit mögen seine zuletzt bei Arte Nova veröffentlichten Deutungen früher und später Werke Schumanns zunächst irritieren. Unter seinen Händen weicht der strahlende Schwung der fis-Moll-Sonate einem zweiflerisch lyrischen Grundton, der unvermutet die düsteren Seiten der Schumannschen Seelenwelt enthüllt. Die spätstilartig karg gesetzten Waldszenen taucht Andreas Bach in verhalten melancholisches Zwielicht. Er ist den Verwerfungen im Notentext auf der Spur, entdeckt allenthalben kleine Katastrophen und Zusammenbrüche, die er mit bisweilen gewagten Ver; langsamungen und Stockungen heraushebt. Selbst das Scherzo der Sonate eröffnet er mit einem kurios gedehnten Auftaktviertel. Vielleicht wäre es allzu klischeehaft, die auffallende Sensibilität des Pianisten für Gebrochenheiten mit seinen eigenen, nicht ganz einfachen Lebenserfahrungen in Verbindung zu bringen, doch die Assoziation drängt sich unwillkürlich auf.

Man könnte Andreas Bachs höchst eigenwillige interpretatorische Versuchsanordnungen kurzsichtig abtun als verstockte Grübeleien, als allzu gesuchte Problematisierungen von eigentlich gar nicht so problematischen Sonaten-Verläufen. Indes will mir scheinen, daß hier überraschend viele der verborgen liegenden Schumannschen Wesenszüge auf bewegende Weise präzise getroffen sind. Nicht jeder mag vielleicht Bachs provozierend kühne Deutungen sogleich als Meilensteine der Interpretationsgeschichte feiern wollen, jedoch der Aufmerksamkeit eines sensiblen Publikums sind sie allemal würdig.
Im Konzert erlebt man den Pianisten ganz anders: Seinem Gespür für feine Risse im Notenpapier steht hier bisweilen plötzlich überwältigend temperamentvolle Risikofreude zur Seite. Tollkühn treibt er da die lyrischen ebenso wie die ekstatisch virtuosen Nummern der Symphonischen Etüden weit über die Grenzen sittsamer pianistischer Ausdrucksnormalität. Die Chopinschen Balladen setzt er faszinierend unter Spannung mit gewagten klanglichen Kontrasten. Auch hier ist der Pianist Brüchen auf der Spur, schärft jedoch, anders als in seiner insgesamt empfindsam gedämpft wirkenden Schumann-Aufnahme, die innerer Dramen nachgerade aggressiv zu. Unbedingter Ausdruckswille scheint da gar bisweilen die noble Eleganz der feinen Texturen Chopins zu versehren.

Ein interessanter, facettenreicher Künstler also, der sich im folgenden Gespräch mit »KLASSIK HEUTE« zu seinem Werdegang äußert und insbesondere seine Einblicke in Werke Schumanns genauer erläutert.

"KLASSIK HEUTE": Können Sie sich an Ihre frühesten musikalischen Anfänge erinnern?

Andreas Bach: Ja, sie waren durchaus nicht pianistischer Natur: An meinem fünften Geburtstag bekam ich eine sogenannte Klarina geschenkt ein Spielzeugblasinstrument mit bunten Tasten, auf dem ich mit kleinen Kinderliedern bald schon erste ,musikalische Erfolge' feierte. Kurz darauf bekam ich dann auch ein richtiges Klavier und Unterricht.

Unterrichtet wurden Sie ab Ihrem elften Lebensjahr vom berühmtesten deutschen Klavierprofessor Karl-Heinz Kämmerling. Wie wurden Sie auf ihn oder er auf Sie so früh aufmerksam?
Das hatte mit ,Jugend musiziert' zu tun. Mit sieben Jahren habe ich angefangen da teilzunehmen und zwei Jahre später gewann ich zum ersten Mal auf Landesebene. Als ich schließlich auch auf Bundesebene Erfolge hatte, wurde Kämmerling auf mich aufmerksam und kam auf mich zu.

Er wurde Ihr Hauptlehrer, bei dem Sie insgesamt dreizehn Jahre studierten. Man sagt, daß er die technische Seite des Klavierspiels besser vermittelt als die musikalische. Stimmt das?

Nein, im Gegenteil. Er legte gerade auf Musikalität besonders viel Wert und hatte großes Einfühlungsvermögen in die Musik sowie die Gabe, seine eigene Begeisterungsfähigkeit auf andere zu übertragen. In dieser Hinsicht habe ich am meisten von ihm gelernt. Technisch hat er zwar viele Übungen mit mir gemacht, aber niemals praktisch etwas demonstriert, da er ja seit Jahrzehnten nicht mehr spielt. Das prägt natürlich schon den Charakter des Unterrichts. Erst bei meinem zweiten Lehrer Pavel Gililov merkte ich dann, wie viel es mir bedeutete, wenn jemand das Klavierspiel direkt vorlebt. Von ihm habe ich gelernt, wie man durch natürliche, entspannte Bewegungen eins wird mit dem Instrument und wie man einen schönen, runden Ton erzeugt.

Können Sie sich an Ihre frühesten musikalischen Anfänge erinnern?
Ja, sie waren durchaus nicht pianistischer Natur: An meinem fünften Geburtstag bekam ich eine sogenannte Klarina geschenkt - ein Spielzeugblasinstrument mit bunten Tasten, auf dem ich mit kleinen Kinderliedern bald schon erste ,musikalische Erfolge' feierte. Kurz darauf bekam ich dann auch ein richtiges Klavier und Unterricht.

Sie machten früh eine Blitzkarriere, ohne je einen internationalen Wettbewerb gewonnen zu haben. Wie ist Ihnen das gelungen?
Unmittelbar nachdem ich mit sechzehn Jahren mein Debüt im Münchner Herkulessaal gegeben hatte, bekam ich einen Vertrag bei einer der großen deutschen Agenturen. Nach meinem Abitur nahm mich dann auch ein amerikanischer Agent unter Vertrag, der sehr viel Glauben in mich hatte und auch sehr viel für mich bewegte. In Amerika ging alles viel schneller vorwärts als in Europa. Ich hatte dort einen richtigen Raketenstart.

Gab es dafür auch noch andere Gründe als die Aktivität Ihres Agenten?

Ja. Die Mentalität der Amerikaner ist einfach anders. Wenn die merken, daß jemand gut ist, dann muß
derjenige sich nicht ewig beweisen, sondern Tür und Tor stehen sofort offen.

Fühlten Sie sich als Teenager von Ihrem plötzlichen Weltruhm und den damit verbundenen Pflichten nicht überfordert?
Das war schon schwierig, denn ich hatte keine Kontrolle über den Verlauf meiner Karriere. Nach einigen Jahren kam ein Punkt, wo mir alles zuviel wurde. Ich hatte das Gefühl, ausgenutzt zu werden von meinem amerikanischen Manager. Er schrieb mir zum Schluß vor, wie ich aufzutreten hatte, was ich sagen und wie ich mich bewegen sollte. Es schien weniger um mein Klavierspiel als um mein Image zu gehen, Sponsoren waren wichtiger als die Musik, und das belastete mich schon sehr. Ich beschloß deshalb - aber auch aus persönlichen und familiären Gründen - Abstand zu gewinnen und zog mich für zwei Jahre ganz vom Konzertleben zurück.

Viele andere Pianisten taten das auch, die berühmtesten Beispiele sind Vladimir Horowitz und Maurizio Pollini.
War es danach schwierig, wieder in den Betrieb zurückzufinden?

Es war schwieriger als ich erwartet hatte. Aber es hat auch sein Gutes, wenn der Terminkalender nicht gleich so voll ist, weil man mehr Zeit hat, wieder zu sich selbst und zur Musik zu kommen. Ich bin froh, daß ich heute nicht mehr viermal im Jahr nach Amerika jetten muß. Gegen mehr Konzerte hier in Europa hätte ich hingegen nichts.

Wie bewältigen Sie heute die immensen Anforderungen des Konzertlebens?
Inzwischen weiß ich wesentlich genauer, wo meine Grenzen sind und sage das im Zweifelsfalle auch deutlich. Heute wäre ich nicht mehr bereit, meine Persönlichkeit von vermeintlich imagefördernden Maßnahmen verbiegen zu lassen. Nach Amerika bin ich seitdem auch nicht mehr gegangen. Musiker werden dort weit rücksichtsloser vermarktet als hierzulande.

Hat sich während Ihrer Rückzugsphase auch auch Ihr Verhältnis zur Musik verändert?

Ja. Früher stand ich noch ganz im Bann der akademischen, in vieler Hinsicht sehr traditionellen Schule Kämmerlings. Heute spiele ich deutlich freier und spontaner. Ich habe das Gefühl, meine Ideen deutlicher ausdrücken, sie besser aus mir herausholen zu können. In meiner Anfangszeit hatte ich auch Gedächtnisprobleme, die mir besonders vor großen Konzerten oft sehr Angst machten. Ich war mir oft nicht ganz sicher, ob ich nicht irgendwo den Faden verlieren und aussteigen würde. Mein Zugang war weitgehend intuitiv. Ich wußte, daß es irgendwie geht, und das reichte. Inzwischen setze ich meine pianistischen Mittel weit bewußter ein und spiele deshalb auch ohne Rücken- und Handprobleme, was nicht immer der Fall war.

Ihre bisherige Diskographie hat ihren Schwerpunkt im Repertoire der deutschen Romantik. Hat das mit der Aufnahmepolitik Ihres Labels zu tun oder entspricht diese Richtung tatsächlich Ihren persönlichen Vorlieben?

Bisher war das tatsächlich mein Schwerpunkt. Seit einiger Zeit befasse ich mich allerdings immer mehr auch mit modernen Kompositionen, im Moment vor allem mit Bartók den ich in zukünftigen Konzertprogrammen mit Schumann koppeln werde. Beide haben sich auf der Suche nach ihren musikalischen Wurzeln stark an Volksliedern orientiert und waren darin von hohem Idealismus erfüllt. Das moderne Repertoire beginne ich erst jetzt richtig zu erobern, denn während meiner Studienzeit wurde die Leidenschaft dafür nicht sehr geweckt. Obwohl mir Kämmerling jetzt wahrscheinlich widersprechen würde: Ich hatte immer das starke Gefühl, daß sein ganz persönliches, wirkliches Interesse ungefähr bei Brahms endete.

Würden Sie von Bartók in Zukunft auch gerne Aufnahmen machen?
Auf jeden Fall, vielleicht sogar einmal das Gesamtwerk. Und ich würde gerne endlich einmal die ,Fantasiestücke' op. 12 und die ,Symphonischen Etüden' op. 13 von Schumann aufnehmen . ein lang gehegtes Projekt von mir. Die Zusage von Arte Nova dafür habe ich jetzt auch schon.

Was reizt Sie an Schumann?

Mich interessieren seine exzessiven, bis ins Verrückte gehenden Seiten, die ich bisher nur in den Aufnahmen von Alfred Cortot wiederentdecken konnte. Mir ist der Rebell in Schumann wichtig, der sich in der Vorstellung eines "Davidsbundes", im Marsch gegen die Philister - womit das Bürgertum seiner Zeit gemeint ist - offenbart. Daß er selbst durch und durch Spießbürger war, gehört zu den Widersprüchen in seiner Persönlichkeit, die ein Bild von ihm erst vollständig werden lassen. Ich habe kaum je Interpretationen erlebt, in denen dieses Schumannsche Kernthema erlebbar wurde . oder gar das extreme Ausbrechen von äußerster Fassungslosigkeit bis hin zu tiefstem Verdämmern ins Nichts! Mich faszinieren die Dimensionen des Unwägbaren in dieser Musik. In den meisten Aufnahmen, die ich kenne, klingt mir das Unberechenbare viel zu berechnet.

Ihre neueste CD mit frühen und späten Werken Schumanns überrascht mit einer entsprechend ungewöhnlichen Deutung der fis-Moll-Sonate. Was reizte Sie gerade an diesem Werk?

Es ist natürlich ein sehr tiefgehendes Werk mit vielen anrührenden Stellen. Obwohl es die Sonatenform erfüllt, empfinde ich es als ein brüchiges Stück, das sehr zerfällt. Die Teile wollen sich nicht recht zum Ganzen fügen, vor allem der letzte Satz besteht aus disparaten Elementen, die sich immer wiederholen. Die freieren zyklischen Formen entsprechen seiner Persönlichkeit mehr und sind typischer für ihn. Ich finde, das muß man nicht unterdrücken und so tun, als handele es sich um eine Sonate von Beethoven. Und genau das habe ich versucht zuzulassen. Natürlich ist das ein Risiko, denn die meisten Interpreten glätten ja diese Brüche in der Form und es haben sich ganz andere Hörgewohnheiten etabliert. Mich haben gerade diese Brüche interessiert, anders hätte es mir keinen Spaß gemacht. In gewisser Hinsicht ist es mir ein Rätsel, weshalb ausgerechnet in einer liberalen Zeit wie heute immer noch oft genug so wenig anerkannt wird, wenn ein Pianist sich Freiheiten nimmt, die doch beispielsweise auch ein Alfred Cortot sich nahm, wofür er ja auch heute noch zurecht bewundert wird. Andererseits aber verstehen doch auch wieder sehr viele Leute meine Schumann-Deutungen und wissen deren Besonderheiten zu schätzen.

Hat eine solche Schrumpfung der Deutungsspielräume unter Umständen mit der modernen Tonträgerindustrie zu tun?
Ich glaube schon, daß das eine Rolle spielt. Denn besonders im Aufnahmestudio sind den kreativen Freiheiten des Musikers Grenzen gesetzt. Um die Aneinanderreihung von Schnitten in einer Aufnahme zu ermöglichen, müssen sich die Takes nämlich möglichst ähneln. Und das ist ein Problem, das ich in Aufnahmesitzungen tatsächlich öfter hatte. Wenn ich verschiedene Varianten anbot, kam der Vorwurf: Sie spielen ja plötzlich ganz anders, das können wir ja unmöglich schneiden, was machen Sie da? Es wird offenbar nicht als Zeichen von Kreativität gedeutet, wenn ein Künstler verschiedene Interpretationsansätze zur gleichen Zeit parat hat.

Im Konzert sind Sie ja ebenso flexibel und gehen Risiken zugunsten spontanen musikalischen Ausdrucks ein.
Absolut. Ich versuche mich auch im Konzert überraschen zu lassen von Eingebungen, inspirieren zu lassen vom momentanen Klangerlebnis. Ich fände es ideal, wenn Live-Aufnahmen von gut gelungenen Konzerten als Grundlage für CDs verwendet würden. Es ist ja das Wesen der Musik, daß sie sich im Jetzt ereignet. Die zentrale Idee ist es, eine Improvisation nach Noten zu machen, eine eigene Gestalt auf der Grundlage der Komposition zu schaffen!

Interview: Peter Schlüer